Metropolis Shanghai - Showboat to China


Schanghai bedeutet "Am Meer", dieser Name wird in der Sung-Dynastie zum ersten Mal erwähnt, in dieser Zeit ist Schanghai ein kleines Fischerdorf, erst im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelt sich diese Siedlung zur Stadt, bleibt jedoch bedeutungslos bis zum Ausbruch des Opiumkrieges um 1840, als die Europäer die Kontrolle übernehmen und diesen Hafen als Handelsstützpunkt öffnen. Durch die ideale Lage an der Mündung des Jangtze und die ausländische Inbesitznahme wird Schanghai zum wichtigsten Handelshafen Chinas und verliert so seine chinesische Selbstbestimmung. "Metropolis Shanghai – Showboat to China" erzählt in musikalischen Episoden die Geschichte vom "Paris of the East", von der "Whore of Asia", der "Golden Era", der grössten Stadt Asiens in den dreißiger und vierziger Jahren, dem kosmopolitischsten Ort der Erde, dem Zufluchtshafen für Juden, der Militärbasis der Japaner nach dem zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg, vom "Old Shanghai", keine Kolonie, aber dennoch von Ausländern bestimmt, von der "Queen of the Orient", wie die Fremden diese Stadt nennen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist diese Metropolis geteilt in die French Concession, das International Settlement unter Verwaltung von Großbritannien und den USA, die Basis der Japaner und das Judenghetto. Fast alle Einwohner dieser Stadt sind Chinesen – 4,5 Millionen gegenüber 50.000 Europäern – aber ohne politische Macht. Schanghai ist einer der aussergewöhnlichsten Orte, der je existiert hat, voller Erwartungen, Show, Hunger, Obdach, Sex, Tod, Leben, Krieg, Hoffnung, Drogen, Verzweiflung, Geschäft und Armut. Schanghai ist von allem das Schlechteste und das Beste. Eine Stadt des schnellen Geldes und unvorstellbarer Armut, tagtäglich liegen tote Körper in den Strassen, Mädchen verkaufen sich billig, um zu überleben und verenden wie ihre Freier. Die Bezeichnung "Golden Era" klingt fast zynisch, denn nur ein paar Gewinner und Reiche erschaffen sich ihr eigenes "Paris of the East". Hotels, Bars, Hurenhäuser, Varietés, Unterhaltungs- und Spielhallen feiern Hochkonjunktur. "Ye Shanghai" (Schanghai Nächte), damals gesungen von der Filmdiva Zhou Xuan, wird zur Hymne einer dekadenten Welt:

 

"Schanghai Nächte", eine Interpretation nach dem Originaltext von Fan Yanqiao

 

Schanghai Nächte, Schanghai Nächte,

Schlaflose Nächte,

Helle Lichter, Musik und Teufelstanz,

Nicht trunken vom Wein, sondern vom Irrsinn getrieben,

Unbekümmerte Nächte, leichtsinnige Tage,

Ängstlich die Frühlingslust zu verpassen!

 

Immer, immer zu Diensten lächelst Du,

Wer denkt schon an Dein trauriges Herz,

Nächtelanges Treiben, um zu überleben,

Im Morgengrauen kummervoll erfüllte müde Augen,

Nur noch Leere, verblasst ist das funkelnde Nachtleben.

 

Wagenräder schinden und drehen sich,

Ändern, ändern, Himmel und Erde,

Irgendwo muss ein anderes Leben sein,

Aufgeschreckt aus dem Traum,

Nachgeschmack des Nachtlebens!

 

Ausserhalb der sogenannten "Golden Era" schaffen die Chinesen ihre eigene Welt, um in der von den Fremden kontrollierten Enklave überleben zu können. Ihre Musik ist ein wichtiges Element, um in einer schwierigen Zeit hindurch ihre Identität in diesem Schanghai bewahren zu können. Das Meisterwerk "The Moon over a Fountain", komponiert von A Bing (sein wirklicher Name ist Hua Yanjun, 1893 – 1950, einer der bedeutendsten Musiker in der modernen chinesischen Geschichte), klingt in den Nachbarschaften der French Concession. In der Bar des Peace Hotels (eröffnet 1929 unten dem Namen Cathay Hotel) eine eigenartige Mischung aus der chinesischen Kultur und der Moderne, aus Ost und West, spielen chinesische Musiker Jazz. Die höchstmöglichen Extreme stehen nebeneinander. Chinesische und philippinische Showbands unterhalten die Gesellschaft im Varieté Paramount. 1937 bricht der zweite Chinesisch-Japanische Krieg aus, und die Japaner besetzen Teile Schanghais und kontrollieren nun die Stadt. In dieser Zeit, zwischen 1937 und 1943, immigrieren Juden aus dem Dritten Reich nach Schanghai. Etwa 20.000 kommen aus Mitteleuropa, Deutschland, Österreich und Polen. 300 von ihnen sind Musiker. Musik hat in einer schwierigen Zeit hindurch auch eine überlebenswichtige Bedeutung für diese Flüchtlinge. "Sehnsucht" von Mischa Spoliansky spricht die Gefühle vieler Juden an, die im ausgebombten Hongkew ein neues Zuhause suchen. Schanghai ist einer der ganz wenigen Orte, wo niemand nach einem Visa fragt. Juden aus Wien, München und Berlin treffen sich in "Little Vienna", ein Viertel, das sie Stein für Stein aufbauen, und spielen in Cafehäusern Wiener Schrammel Musik. 1943 müssen die Juden auf Druck der Deutschen auf die Japaner in ein Ghetto umsiedeln, und wieder verlieren sie fast alles, was sie bereits erreicht haben. Das Ende des II. Weltkriegs ermöglicht die Auswanderung aus Schanghai nach Israel, Südamerika und in die USA. In dieser Zeit - nach 1947 - meinen die Kommunisten, genug ist genug. Sie haben nun die Aufgabe übernommen, die Slums zu beseitigen, Hunderte von Opiumsüchtigen zu rehabilitieren, Kinder- und Sklavenarbeit abzuschaffen, die Dekadenz zu vertreiben. Für den Westen ist die Party vorerst zu Ende. Aber Schanghais Bewohner finden keine Möglichkeit ihre neue Identifikation zu finden, denn die Kulturrevolution diktiert nun die neuen Regeln. "Ambush on all Sides" (Hinterhalt von jeder Seite) wäre die charakteristische Hymne vom Hafen am Yangtze. Doch die Zeit bleibt nicht stehen, 1990 gehen Einladungen an die kapitalistische Interessenswelt, da fremde Finanzen helfen sollen, diese Wirbelwind- Metropole wiederzuersinnen. Und die Stadt wächst mit neuen Untergrundbahnhöfen, Hochstrassen auf Betonstelzen, der modernsten Börse der Welt und Kulturinstitutionen. Doch oder gerade wegen diesem Wachstum und dem internationalen Investment ist Schanghai eine Stadt der Gegensätze, und wuchernde Armut herrscht noch immer im neuen "Babel am Yangtze".

 

Dieses Projekt wurde unterstützt durch die Mitarbeit von:

Wang Yangji: Dirigent und künstlerischer Leiter (traditionelle Chinesische Musik, Musik im Stil von Suzhou am Yangtze Delta und kantonesische Musik); Dr. Tang Yating: Wissenschaftler und Forscher von Lebensformen der Juden in Schanghai; Die Mönche vom Long Hua Tempel: Geist und Seele in einer wirren Stadt; Zheng Deren: Experte der Musikszene in den dreißiger und vierziger Jahren; Prof. Chen Gang: Einweisung in die Musik von Chen Gexin, seinem Vater; Wu Guangye: wertvolle Sammlung von Schellackaufnahmen; Brave Old World mit Roswitha Dasch: Adaption von "jüdischer" Musik in Schanghai; Nicolas Humbert: Bereitstellung der Briefe und Photos von Dr. Max Mohr, seinem Grossvater (Veröffentlichung der Briefe gelesen von Juliane Köhler im Frühjahr 2006 auf dem ersten Hörbuch von Winter & Winter); Joan Grossman und Paul Rosdy: Regisseure des Films "The Port of last Resort – Zuflucht in Shangahi" mit der Musik von John Zorn (Veröffentlichung bei Winter & Winter, DVD N° 915 004-7, gemeinsam mit der CD "Metropolis Shanghai – Showboat to China")

 

- Stefan Winter


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