Salon Music at Schumann's Bar


Das Gesellschaftszimmer am Hofgarten

Im Oktober 2003 erzähle ich meiner Mutter – ein Schwabinger 'Gewächs' mit tiefer Liebe zum Theater und zur Musik, dass Charles Schumann seine Bar in der Maximilianstrasse aufgibt, um Schumann's am Hofgarten zu eröffnen, was schon seit langem sein sehnlichster Wunsch ist. Mit strahlenden Augen berichtet sie vom alten Hofgarten vor dem Krieg, von den eleganten Kaffeehäusern und Restaurants, von den Salonorchestern mit ihren hinreißenden Stehgeigern, von der feinen Münchner Gesellschaft, von langen Tafeln mit bodenlangen Tischdecken, Reihe für Reihe in unterschiedlichen Farben eingedeckt, von gut gekleideten Herren und von Damen mit aufsehenerregenden Hüten. In einem Photoalbum von damals zieht sie ein Bild von sich heraus, auf dem sie einen umwerfend schönen Hut mit einer langen aufregenden Feder trägt. Mit ihrem Vater ist sie damals als blutjunges Mädchen zum Hofgarten gegangen, um die Salonmusik zu hören; eine Szenerie fast wie auf dem Markusplatz in Venedig, die Musik klingt aus den offenen Fenstern durch die geschwungenen Arkaden in den wunderschönen 'Innenhof'. Und wenn die "Krach-Czardas" von Boulanger erklingt, dann bleibt sie nicht mehr ruhig sitzen, sondern tanzt in die Nacht hinein. Diese Erinnerungen voller Nostalgie wecken in mir den Wunsch, die Salonmusik zurück zu bringen, um den Stehgeiger noch einmal hier zu hören, um noch einmal in die Nacht hinein tanzen zu können.

Schon zur Eröffnung von Schumann's am Hofgarten soll nun dies in Erfüllung gehen, denn auch Charles Schumann kennt selbstverständlich die glanzvolle Historie seiner neuen Wirkungsstätte, auch er möchte sich diesen ausgefallenen Wunsch erfüllen. Doch in der Hektik des Umbaus seines neuen Hauses, das beinahe nicht zum Eröffnungstermin fertig wird, bleibt keine Zeit, auch noch das Musikprogramm zu planen. Und Charles meint letztendlich, dass der Andrang des Publikums und die Aufregung in den ersten Tagen sicherlich nicht genügend Raum für die Musik lassen würden. So wird eine Verlegung auf einen unbestimmten Termin beschlossen. Dies kommt mir jedoch gelegen, da ich ein ganz bestimmtes Ensemble für Charles Schumann engagieren will, ein Ensemble, das die Musik des großen Salon-Geigers Georges Boulanger weiterführt, der vor beinahe 50 Jahren gestorben ist.

Georges Boulanger, ein Künstler, dem einmal ganz Europa zu Füssen lag, ein begnadeter Komponist von Salon-Stücken wie "Norinka", "Hora Mare" und "Comme-ci, comme ça", um nur einige wenige seiner unvergesslichen Melodien zu nennen, muss – von seinem Publikum verlassen – fernab seiner ersten großen Erfolgsstätten London (Hotel Savoy und Hotel Claridges), Berlin (Hotel Adlon) und Hamburg (Alsterpavillon), in seinem Zufluchtsort Buenos Aires, nachdem die neue Nachkriegsgesellschaft Europas kein Interesse mehr an ihm und seiner Musik hat, verarmt, krank und zuletzt unfähig zu spielen, vom Leben Abschied nehmen. Zu seiner Tochter Nora sagt er: "Ich muss sterben, damit du mich verstehst." "Er hatte Recht", schreibt Nora. Zeit seines Lebens ist es manchmal sehr schwer zu begreifen, was ihn treibt. Am Ende verliert er alles, er kann nicht einmal mehr spielen, aber trotzdem sind die letzten Worte dieses großen Musikers: "Ich bin Georges Boulanger". Er hat es geschafft Musik zu werden. Fast zur gleichen Zeit als Boulanger stirbt, entdeckt und studiert Dr. Klaus Neftel, Musiker und Chefarzt am Berner Zieglerspital, Stück für Stück die Salonmusik. Ungemein fasziniert vom Wesen dieser Klangwelt, die eine Fälschung jedoch ohne Original ist, um die Worte von Stehgeiger oder – wie man sagt – Primas Milton J. Kazinczy zu zitieren, gründet Klaus Neftel – aus Spaß und tiefer Freude an dieser Musik – um das Jahr 1970 die Gruppe Prima Carezza. Klaus Neftel – nun im engen Kontakt mit Boulangers Tochter – setzt sich mit Boulangers Noten und Sammlung auseinander. Er sucht und findet die besten Salonstücke nicht nur in Boulangers Notenbestand, sondern auch in anderen alten Beständen aus ganz Europa. Er führt diese weiter, adaptiert und arrangiert, und wählt ein ideal aufeinander abgestimmtes Ensemble aus. Seine Frau und er spielen abwechselnd den Primas, den Stehgeiger, Cheryl House das Cello, Christoph Ogg die Klarinette, Wieslaw Pipczynski das Akkordeon, Fred Greder den Kontrabass und Tobias Schabenberger das Piano. Musik und Theater schreibt: "Musikalische Bravour. Schmachtender Ensembleklang. Kleine Ruhepausen, wo alle den Atem anhalten. Haarscharf bevor der Faden reisst: Dies ist Salonmusik in Vollendung."

"Salon Music at Schumann's Bar" – nicht zu verwechseln mit Robert Schumann, der mit dieser Musik gar nichts zu tun hat – gespielt von Prima Carezza vereint das neue Schumann's am Hofgarten wieder mit der Salonmusik. Prima Carezza spielt zwanzig Stücke, teilweise von Georges Boulanger selbst, und weitere aus dem umfangreichen Repertoire von Boulanger, neben 'Neuentdeckungen' wie der Musik von "La Bayadère". Diese Musik will nicht ernst, sondern geistvoll unterhalten. Manchmal finden sich aber auch berühmt gewordene Melodien aus der 'Ernsten Musik', beispielsweise von Brahms oder Massenet, doch auch diese Stücke werden durch entsprechende Arrangements und Spielweise dem neuen Ort angepasst. Wie heißt es so schön: "Die Kunst der Salonmusik besteht darin, mit hintergründiger Ironie die vordergründigsten Klischees zu servieren." Und hierzu passt doch vortrefflich, dass sich Michaela und Klaus bei "Comme-ci, comme-ça" die Motive einander wie Pingpongbälle zuwerfen. (Aus Dokumenten und Aufnahmen weiss man übrigens, dass früher viele weltberühmte Interpreten derartige Salonmusik gespielt haben, so zum Beispiel Adolf und Fritz Busch, Jacques Thibaud, Rudolf Serkin, Jascha Heifetz, Fritz Kreisler, Emanuel Feuermann, Pablo Casals, Paul Hindemith und viele andere; die Grenzen zwischen heiterer und ernster Muse waren damals weniger scharf als heute.)

"Salon Music at Schumann's Bar" von Prima Carezza ist eine musikalische Illusion eines Stehgeigers, der eine ganze Nacht zum Klingen bringt, wie schon einmal im Hofgarten in München.

Herzlichen Dank an Günter Mattei, Graphiker und Illustrator, der die musikalische Geschichte dieses Albums so vortrefflich umsetzt.

 

- Stefan Winter

 

 


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