Calypsonians, Steelpans and Blue Devils – Carnival in Trinidad


Trinidad im musikalischen Rausch

 

Der Countdown zum Karneval in Trinidad, eines der sinnlichsten, ausgelassensten und vielfältigsten Feste der Welt beginnt bereits Monate vor Jouvert, dem offiziellen Start um vier Uhr morgens am Faschingsmontag zum musikalischen Vergnügungsrausch in Trinidad. Schon Monate vorher werden neue Musikstücke ausgewählt und orchestriert, bereits vor Weihnachten beginnen die Proben der Steelorchester mit weit über einhundert Spielern unter freiem Himmel in den Panyards. So hallen für Monate die Steeldrums jeden Abend bis Mitternacht durch die Strassen. Kaisonians, Calypsonians und Socasänger arrangieren ihre Songs für Big- oder Soul of Calypsobands und bereiten sich auf die großen Wettbewerbe (Panorama) vor. Aber auch Saiteninstrumente haben neben Steelpans ihre eigene Tradition in Trinidad. Das Cuatro ist weitverbreitet, und dieses Instrument spielen zu lernen, ist an vielen Schulen Pflichtfach. Robert Munro gehört zu den Meistern dieses kleinen Instruments mit dem großen Sound. Die Melodien und Rhythmen erinnern an die weit zurückliegende spanische Kolonialzeit, die noch vor der französischen Sklaverei und der Herrschaft der Briten die Insel beherrscht hat. Die Stockkämpfer trainieren und führen bereits Vorkämpfe aus, um die Besten des Landes in den letzten Tagen des Karnevals ermitteln zu können. Stockkämpfe sind in Trinidad nach der Befreiung der Sklaven entstanden, und die Kämpfe sind Zeichen der wiedergewonnenen Freiheit. Die Midnight Robbers (Gauner) dichten ihre neuen Kurzgeschichten, mit denen sie in übergroßen Masken die Menschen in den verrückten Tagen unterhalten. Herrliche Kostüme für den großen Umzug am Karnevalsdienstag werden in den Hinterhöfen genäht, und die Jab Jabs (die blauen Teufel) entwerfen ihre Hörner, Kreuze und wilden Larven, die sie auf ihren nackten blauen Körpern tragen, von denen die Farbe des Satans tropft. Die Jab Jabs ziehen in den Hochtagen des Karnevals die Menschen auf den Strassen in die Unterwelt, nur wer sich mit einem Trini Dollar freikauft, wird verschont. Auf Eisenteilen, Trommeln und Metallblöcken üben Gruppen in den Gassen der Vorstädte (Laventille) eine pulsierende Mischung aus afrikanischen und indischen Rhythmen. Und auch die indischen Tassa-Gruppen erhitzen die Felle auf ihren Trommeln, um die nötige Spannung zu geben, damit die perfekte Tonlage erreicht werden kann. In den Städten Trinidads schwillt Tag für Tag vor Karneval die Spannung, bis mit Jouvert die größte Show auf Erden zum Ausbruch kommt, und die Ekstase ihren freien Lauf nimmt.

Trinidad schenkt der Welt ein neues akustisches Musikinstrument: Die Steelpan (oder Steeldrum). Afrikanische und indische Rhythmen sind seit der Sklavenzeit Puls dieser Karibikinsel, die nur wenige Kilometer vor Venezuela liegt. Früher nutzt man afrikanische Trommeln, oder man schlägt mit verschieden langen Bambusstöcken Rhythmen zum Tanz. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Beats auf ausgediente Ölfässer geschlagen. Um bestimmte Tonhöhen zu erreichen, werden die Böden der Fässer erhitzt und geformt, so können je nach Grösse der Pans, hohe oder auch tiefe Tonleitern und einzelne, miteinander abgestimmte Töne erzeugt werden, das Prinzip der Steelpan ist erfunden. So haben sich bis heute eine große Anzahl von unterschiedlichen Pans entwickelt, ähnlich den Streichinstrumenten in verschiedenen Tonlagen der klassischen Orchester. Das wichtigste Ziel aller Steel Orchester ist es, beim Panorama, dem nationalen Wettkampf während des Karnevals, zu gewinnen. Das Exodus Orchester, arrangiert von Pelham Goddard ist Sieger des Welt Steelband Musik Festivals 2005 und wird von einer Jury zum Weltmeister 2005 als die Beste Steelband auserwählt. Der Mann der Exodus, benannt nach dem Kinofilm von Otto Preminger, zum Erfolg führt, heißt Ainsworth Mohammed, der auch für die Jugendgruppe St. Augustine Senior Comprehensive Steel Orchester verantwortlich ist, das 2007 die National Junior Panorama Finals gewinnt. Ainsworth Moammeds Steel Orchester eröffnen und schließen die musikalische Reise in den Karneval in Trinidad.

Ein weiterer unverwechselbarer Musiksound entsteht in Trinidad: Kaiso (Calypso), aus Westafrika kommend, entwickelt sich zu einem neuen Stil auf den britischen und französischen kolonialen Karibikinseln Ende des 19. Jahrhunderts und ist noch heute maßgeblicher Bestandteil der Musik von Trinidad. Die Ursprünge gehen auf westafrikanische Sklaven zurück, die sich hauptsächlich durch Gesang verständigen, da sie nicht miteinander sprechen dürfen. Calypso bleibt ein Kommunikationsmedium, meist werden Nachrichten auf Trinidad so verbreitet. Politiker, Journalisten und die Öffentlichkeit debattierten deren Inhalte, und viele der Bewohner sehen die Lieder als zuverlässigste Nachrichtenquelle an. Die Lieder schaffen einen Raum für freie Meinungsäußerung, etwa das Aufdecken von politischer Korruption. Die britischen Behörden versuchten dies durch Zensurmaßnahmen einzuschränken, was ihnen aber nicht gelingt. Die ersten Calypsoaufnahmen erschienen 1914 und leiteten das goldene Zeitalter des Calypso ein. Die zunächst im Karneval errichteten Zelte zum Üben vor den Calypsowettkämpfen wurden nun selbst die Bühnen neuer Musik. Die ersten Musiker, die den Sprung auf internationale Bühnen schafften, waren "Attila the Hun", "Roaring Lion" und "Lord Invader", gefolgt von "Lord Kitchener", einem der am längsten erfolgreichen Stars, und "Mighty Sparrow". Der Calypsonian David Bereaux singt und feiert zusammen mit seinem Publikum im Karneval 2007 die großen Hits von "Roaring Lion", "Lord Kitchener" und "Mighty Sparrow": "Ugly Woman", "Tie Tongue Mopsie", "Mr. Benwood Dick" und "Mae Mae". Und im Kaiso House bedankt sich "Lord Nelson" für seine wundervollen Erfolge bei seinem Publikum mit dem Hit "Meh Lover".

Um vier Uhr am Karnevalsmontag eröffnet die Laventille Rhythm Section die letzten zwei heißen Tage dieses Treibens. Dieses frühe Mas, bekannt als Jouvert, ist ein Ritual, in dem die dunklere Seite des menschlichen Lebens gefeiert wird. Überall fließt die blaue Farbe des Teufels. In einem Wirrwarr von Farben, Kostümen, Sound, Bewegung, Rhythmen, Rum und Bier entsteht die wildeste Straßenparty der Welt. Extravagante Kostüme, leuchtende Farben, maskierte Fratzen und Körper äffen und veräppeln (auch heute noch) die Kolonialherren nach, auch wenn sich die Gesichter der Herren geändert haben. Eine Angst einflößende Gruppe in Gefängniskleidern aus Bushs US-Lager Guantánamo taucht auf und verschwindet wieder in den Gassen von Port of Spain, begleitet von Afrikanischen und Tassa-Rhythmen. Bei den großen Umzügen sieht man auch atemberaubende Kostüme, abenteuerliche Motivwagen und eine Bevölkerung im Vergnügungsrausch. Alle sind Teil des Festes, Zuschauer gibt es nur wenige, Karneval in Trinidad heißt Mitmachen. Sie spielen Tag und Nacht und ziehen fast 48 Stunden lang durch die Strassen von Port of Spain, dann verhallen die Lieder und Rhythmen Trinidads und das rauschende Fest klingt am Strand im Sonnenaufgang des Aschermittwoch in der Sicherheit aus, dass ein neuer Jouvert kommen wird.

 

– Stefan Winter


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