Travelogues of Italy


 

HÄNDEL IN ITALIEN

 

„Sicherlich gibt es keinen Ort auf dieser Welt, der dem Reisenden grössere Freude bereitet und mehr Gewinn bringt als ITALIEN. Das Angesicht dieses Landes ist von so viel Besonderheit und die Werke der Natur von so grossem Zauber, dass man Gleiches in keinem anderen Land Europas antrifft. Es ist die grosse Schule der Musik und der Malerei und enthält die edelsten Werke der Statik und Baukunst aus Antike und moderner Zeit.“ (aus Remarks on several parts of Italy etc 1705)

Es gab also wichtige Gründe, deretwegen die Kunstfreunde des 18. Jahrhunderts Italien bereisten. Der gerade einundzwanzigjährige und angeblich arrogante und ehrgeizige Georg Friedrich Händel jedoch zögerte und musste erst von einem italienischen Mäzen überzeugt werden, dass eine Italienreise für einen jungen Anfänger, wie er einer war, nur von Vorteil sein könnte. Er traf im Herbst 1706 in Italien ein, wo er sich bis zum Frühjahr 1710 aufhielt. Hauptstationen seiner Reise waren die Städte Florenz, Rom, Neapel und Venedig. Er lernte fliessend italienisch, arbeitete mit den besten Sängern und Instrumentalisten zusammen und holte sich so das Rüstzeug und die Erfahrung, die ihn als Komponisten zur vollen Reife gelangen liessen und immer wieder begegnet man in seinen Werken dem „italienischen“ Einfluss.

In seinen sechs Solokonzerten für Oboe kann man diesen Einfluss sowohl formal (die viersätzige Form im Wechsel langsam-schnell-langsam-schnell geht auf die Kirchensonaten des in Rom lebenden Komponisten Arcangelo Corelli zurück) wie auch stilistisch erkennen – er integrierte in seine Kompositionen die Farbe und das Flair, das die Werke von Komponisten wie Corelli, Vivaldi und Scarlatti auszeichnete. Ausserdem schien Händel vom „süssen Scharm“ der Oboe so angetan zu sein, dass sie zu seinem Lieblingsinstrument wurde. So hat sie auch ein beachtliches Gewicht in der Kantate „Delirio amoroso“, wo er sie neben der Violine und der Blockflöte auch als Soloinstrument einsetzte. Diese Kantate komponierte Händel in Rom, wo durch ein päpstliches Dekret Opernaufführungen untersagt waren. Also wurden seine Opern in anderen Städten aufgeführt und er wandte sich in Rom einer anderen, der Oper verwandten Gattung, nämlich der Kantate zu. “Delirio amoroso“ ist ein besonders schönes Beispiel für eine gehaltvolle italienische Kantate. Die musikalische Dramatik teilt sich durch die Gedanken der unglücklichen Chloris mit, die um den toten Thyrsis weint, der ihre Liebe bereits zu Lebzeiten nicht erwiderte und sich trotz ihrer Rettungsbemühungen selbst noch in der Hölle von ihr abwendet. Chloris’ Gefühlschaos zwischen Wut, Vergebung und Liebe fasst Händel in aufgeregte Rezitative und Arienmelodien von elegischer Schönheit mit instrumentalen Zwischenspielen. Die Kantaten waren fast alle für Solostimme oder eine kleine Gruppe von Solisten bestimmt und boten en miniature die Dramatik und vokale Brillanz, die sonst in der Oper zu finden waren.

Der Cavaliere Alessandro Scarlatti kommt in diesem Programm mit einer virtuosen Cembalotoccata zu Wort. Von seinen Zeitgenossen wurde er gleichermassen für seinen affektvollen Kantaten- und Instrumentalstil geschätzt, wie auch für seinen äusserst gelehrten Kontrapunkt. In seinen Toccaten für Cembalo kommt ein motorisches Element hinzu. Rasende 16tel-Ketten ziehen sich durch das ganze Stück. Diese Technik hat vor ihm noch niemand so konsequent angewendet. Im Mittelsatz überträgt Scarlatti einen Rezitativstil auf das Cembalo; so entsteht ein gleichsam sprechendes Instrumentalspiel mit gewagten Modulationen und Affektwechseln. Die abschliessende Form der Fuge wird hier wie auch in manchen Fugen von Händel mehr im Sinne eines Effekts verwendet, der den Hörer in einen gewissen Klang- und Bewegungsrausch führen soll.

Corellis Violinsonaten Opus V galten schon kurze Zeit nach ihrer Entstehung (1700) als Meisterwerke. Corellis eigener Spiel- und Verzierungsstil wurde von vielen Schülern imitiert und breitete sich schnell über Deutschland und Frankreich bis nach England hin aus. Die A-Dur-Sonate ist ein schönes Beispiel dafür, wie Corelli in den langsamen Sätzen durch seine stark verzierte Melodieführung bis an die Grenzen des Affektausdrucks geht, und dennoch aufgrund der klaren Basslinie immer wieder ganz natürlich kadenziert. Auch in den folgenden Sätzen spielt Corelli virtuos mit den Elementen Spannung und Entspannung und führt den Hörer durch einen emotional äusserst dichten Diskurs, bei dem sich zum Ende das Gefühl von glücklich überwundenen Schwierigkeiten einstellt. Dabei stellt er mit Doppelgriffen und virtuosen Passagen neue Massstäbe für das Geigenspiel, die auch Händel stark beeinflusst haben, der Corellis Spiel ja ganz unmittelbar erlebt haben muss.

 


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