Taboo-Lu



Taboo-Lu
(Artwork: Steve Byram)
















Almost Normal
(Artwork: Steve Byram)



Almost Normal















Mariko Takahashi, Stefan Winter
© Jean-Baptiste Millot









pro domo


Es ist für uns unglaublich schwer und unangemessen Dinge über Klangkunst in Worte zu fassen. Wir sind weder Autoren, noch Philosophen, auch keine Kunst- oder Musikwissenschaftler oder Lehrer. Eigentlich wollen wir die Klangkunst sprechen lassen.
Gewissen Dinge lassen sich nur durch die Kunst ausdrücken, sonst braucht man diese Werke nicht zu kreieren. Dies ist unser Anliegen. Wir wollen mit Neue Klangkunst Raum schaffen, in denen Klänge mit anderen Künsten und Medien zu einem Kunstwerk verschmelzen.
Klangkunst gehört zu einer der maßgebenden neuen Kunstformen. Bedeutende Museen der Welt, die Biennale in Venedig, die Whitney Biennale, die Documenta in Kassel und zahlreiche Ausstellungsräume und Galerien öffnen sich in immer größeren Maße der Klangkunst. Diese Kunstform ist aus der heutigen Kunstszene nicht mehr wegzudenken. Klangkunst braucht eigene Räume, um wiederum neue Räume zu öffnen.
Wir sind überzeugt, dass es keine Objektivität gibt, über Kunst zu schreiben, oder diese zu beurteilen. Jeder, der sich zu Werken äußert und dieses bewertet, ist — bewußt oder unbewußt — von seiner eigenen Psyche und somit subjektiven Wahrnehmung abhängig.
So gesehen, bleibt letzten Endes nur das Vertrauen auf die eigene Überzeugung und Erfahrung zu hören. Dieses Vertrauen beruht zum einen Teil auf Intuition und zum anderen auf über die Jahre gesammelte Wahrnehmungen und Kenntnisse.
— Mariko Takahashi und Stefan Winter

Seit Anfang der neunziger Jahre wirken Mariko Takahashi und Stefan Winter gemeinsam, um Aufnahmewerke, Performances, Klang-, Film- und Rauminstallationen zu realisieren.

1989 beginnt Mariko Takahashi bei Polydor K.K., einem Major-Label der Musikindustrie in Tokio zu arbeiten. Im Vertrieb von Polydor K.K. entdeckt sie JMT (Jazz Music Today), ein von Stefan Winter 1985 gegründetes Musiklabel, das sich der Aufnahme von Werken der neu entstehenden New Yorker M-Base- und Downtown-Szene widmet. Stefan Winter produziert auf JMT die Debütalben u.a. von Uri Caine, Steve Coleman, Greg Osby, Herb Robertson, Hank Roberts, Gary Thomas, Cassandra Wilson, aber auch Konzeptalben von Paul Motian und Aufnahmewerke von Tim Berne in unverwechselbaren Artworks von Steve Byram mit Fotografien von Robert Lewis, aber auch Arbeiten von Thom Argauer, einem Kunstmaler und engen Freund von Stefan Winter. Die Besonderheit von JMT, Strömungen der Musikavantgarde jenseits des Mainstreams zu entdecken und zu dokumentieren, sowie mit zeitgenössischen Künstlern der bildenden Kunst zu arbeiten, veranlasst Mariko Takahashi, ein spartenübergreifendes Festival anzuregen, um das künstlerische Umfeld von JMT in Japan vorzustellen. Ihr Chef Hiroyuki Takei und sein Team stimmen ihrem Vorschlag zu, eine spezielle Kunstschau mit Live-Performance zu initiieren.
Im Herbst 1989 treffen Mariko Takahashi und Stefan Winter zum ersten Mal in Tokio zusammen, um dieses Ereignis vorzubereiten. Vom ersten Moment an entsteht eine intensive Zusammenarbeit. Mit Teamkollegen von Polydor K.K. debattieren Mariko Takahashi und Stefan Winter über Musik und Kunst und entwickeln das Konzept für diese spezielle Ausstellung und Konzertreihe mit Künstlergesprächen. So entsteht die erste gemeinsame Arbeit mit dem Titel „Taboo-Lu“ („Tabubruch“). Im Frühjahr 1991 findet im Ginza Sony Building mitten in Tokio „Taboo-Lu“ statt.
Nach diesem Event sind Mariko Takahashi und Stefan Winter geografisch wieder getrennt. Mariko Takahashi arbeitet bei Polydor in Tokio als Produktmanagerin von Motown und A&M mit Boyz II Men, Sheryl Crow, Steve Wonder... Stefan Winter leitet JMT, pendelt zwischen München und New York hin und her und produziert Musik der zeitgenössischen Jazzszene.
1995 findet in der New Yorker Knitting Factory ein Festival mit dem Titel „Almost Normal“ zum Zehnjährigen von JMT statt. Steve Byram kreiert mit den Künstlern Mark Kinsley, Robert Lewis, Warren Linn, Jonathon Rosen und Karen Greenberg raumfüllende Fresken. Herb Robertson führt Stefan Winters „The Little Trumpet“ auf, Gruppen unter anderem geleitet von Django Bates, Tim Berne, Robin Eubanks, Mark Ledford und Gary Thomas spielen, Marc Ducret stellt ein Soloprogramm vor, Susanna Schönberg installiert Videokunst und Uri Caine führt zum ersten Mal „The Gustav Mahler Document“ mit der Videoinstallation “Ich bin der Welt abhanden gekommen“ auf, die Stefan Winter für Polyor K.K. produziert. Journalisten aus ganz Europa, Japan und den USA besuchen dieses Ereignis. Es wird ein sehr aufregendes und emotionales Festival, denn am zweiten Festivaltag gibt Polygram USA bekannt, den Vertrieb von JMT einzustellen, da es keinen Platz mehr für dieses Nischenprogramm gibt. Am gleichen Tag verkündet Stefan Winter auf der Bühne der Knitting Factory in einem Atemzug das Ende von JMT und kündigt den Start der Musikedition Winter & Winter an.
Mariko Takahashi und Stefan Winter führen eine intensive Fernbeziehung, tauschen fast täglich Musik, Bücher über Kunst, Ausstellungsankündigungen und Museumskataloge aus. Für Produktionen und Besprechungen treffen sie sich in Venedig, New York City, Buenos Aires, Briosco nahe Mailand, Wien, München und immer wieder in Tokio. Sie besuchen Galerien, Museen, Art- und Musik-Festivals, Konzerte, Kinos, Clubs, Opern-, Performance-, Tanz- und Ballet-Aufführungen, Installationen, Künstlerateliers und Aufnahmestudios. Die gemeinsamen Erlebnisse und Erfahrungen fließen in die künstlerische Arbeit ein, Mariko Takahashi und Stefan Winter gründen die Musikedition Winter & Winter, ein Label, das keine Kategorisierung in Klassik, Jazz, Neue Musik und Folklore kennt, sondern aus unterschiedlichsten Musikstilen neue Klangwelten schafft.
1998 entscheiden sich Mariko Takahashi und Stefan Winter für München als gemeinsamen Lebens- und Schaffensmittelpunkt. Sie entwickeln, realisieren und inszenieren Aufnahmewerke mit so unterschiedlichen Künstlern wie Teodoro Anzellotti, Hans Abrahamsen, Noël Akchoté, Uri Caine, Mauricio Kagel, Paul Motian, Barbara Sukowa, Fumio Yasuda und Aarón Zapico mit Forma Antiqva. Für die visuelle Gestaltung der Veröffentlichungen gewinnen sie u. a. Künstler wie Nobuyoshi Araki, Georg Baselitz, Marcel von Eeden, Mark Lammert, Yoshitomo Nara, Jerry Zeniuk und den Grafiker und Illustrator Günter Mattei.
Günter Mattei begleitet Mariko Takahashi und Stefan Winter auf Reisen um die Welt. Takahashi und Winter fangen mit dem Mikrofon Geräusche, Töne und Klänge ein und gestalten aus den Fundstücken musikalische Reisetagebücher, HörFilme („Kino für geschlossene Augen“, wie das Wochenmagazin „Der Spiegel“ titelt).
Zusätzlich zu den Aufnahmewerken für Winter & Winter kreieren Takahashi und Winter Inszenierungen, Rauminstallationen, Klangskulpturen, Film- und Klangkunstwerke.
Die Auseinandersetzung mit Klangkunst rückt immer stärker ins Zentrum ihres Schaffens.

2019 gründen Mariko Takahashi und Stefan Winter die gemeinnützige Gesellschaft Neue Klangkunst,
um Arbeiten dieser Kunstform öffentlich zu präsentieren,
um Ausstellungsräume und Museen für Klangkunst zu gewinnen,
um Aufnahmewerke, Rauminstallationen und interaktive Kunstwerke zu verwirklichen und vorzustellen,
um Klang in einer Vielfalt künstlerischer Spielarten, für die das traditionelle Vokabular der Musik, der Aufnahmekunst, der Oper, des Theaters und der Bildenden Kunst nicht mehr ausreicht, zu schaffen,
um Klangkunst für alle Altersgruppen, auch für Kinder, zu kreieren,
um Werke zu initiieren, die nicht an Gesetze gebunden sind, denn wenn Begriffe wie Musik oder bildende Kunst verwendet werden, so impliziert dies eine bestimmte Tradition und Lehre und die konsequente Akzeptanz dieser Tradition und Lehre, so werden dem Künstler Grenzen aufgezeigt, die verhindern, Kunst zu machen, die über diese Grenzen hinausgeht,
um die akademische Trennung der Ausdrucksformen aufzuheben,
um Klangkunst zu erlauben, die keiner Tradition folgt, aber die Tradition achtet und aus der Tradition schöpft,
um Sinnzusammenhänge zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kunst zu erstellen,
um Krach, Klang, Ton, Schall und seinen Widerhall mit anderen Künsten und Medien zu einem Werk zu vernetzen,
um der Erzählkraft der Geräusche Raum zu geben, um neue Räume zu öffnen,
um lebende Klangbilder aus Ton, Raum, Zeit, Bewegung und Form zu schaffen,
um Krach, Geräusche und Klang zu befreien und zu emanzipieren,
um die Ohren zum Sehen zu verführen und Werke zu schaffen, die auch Menschen mit gering vorhandenem oder keinem visuellen Wahrnehmungsvermögen erfahren können,
um analoge und digitale Klangkunstwerke zu entwicklen,
um die Lust am Klang zu erfahren,
um ein Klangkunst-Museum zu initiieren.


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