Memoirs of an Arabian Princess – Sounds of Zanzibar


Erinnerung an eine tragische Liebe - Sansibar anno 1914

Die Traurigkeit überwältigt Emily Ruete, geborene Sayyida Salme, Prinzessin von Sansibar und Oman, als sie an Bord des Schiffes geht, um ins Deutsche Reich zurückzukehren. Sie weiß, dass ihr letzter Versuch gescheitert ist, in ihrer Heimat wieder aufgenommen zu werden. Nur noch in ihrer Erinnerung lebt die heitere Musik Sansibars. Ein letztes Mal hört sie das Rauschen des Indischen Ozeans und die Rufe der Fischer, als sie beim Auslaufen die Silhouette von Stone Town vorbeiziehen sieht. Ihr selbst bleibt ein Beutel mit Meersand, den sie ihr ganzes Leben behält

Einhundert Jahre später – im Jahr 2014 – erklingen die Rhythmen und Melodien, geprägt von den Passatwinden und den Kontakten über den Indischen Ozean, von Neuem. Noch immer ist das Leben der Bewohner Sansibars weitgehend über das Meer hinaus nach Arabien, Indien und die islamische Welt ausgerichtet als auf das afrikanische Festland und nach Westen. Rajab Suleiman, vor allem bekannt als Mitglied und Solist des Culture Musical Club, und seine Gruppe Kithara führen die Tradition der Taarab-Musik fort. Die Stimme von Makame Faki, einer der beliebtesten Musiker Sansibars, und die junge Sängerin Saada Nassor stellen Liebeslieder ihrer Insel vor. Folgt man den örtlichen Erzählungen wird die Taarab-Musik durch Sultan Sayyid Barghash bin Said eingeführt, der seine Schwester Salme für ihre Liebe zu einem Fremden aus Hamburg verachtet und ihren Palast 1914 verfallen lässt, um ihre Spuren auszulöschen.

Die Gruppe Tarbiyya Islamiyya erreicht durch rhythmische Riten ekstatische Dimensionen, das Mtendeni Maulid Ensemble entfacht eine nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle und musikalische Feier. Am frühen Morgen wecken in der Altstadt die faszinierenden Kanons der Muezzin zum Gebet in der Moschee, und wie vor einhundert Jahren läuten die Glocken der Kathedrale St. Joseph zum Einzug des St. Cecilia Chors.

Aus einer Mischung von Klangschaften, Rhythmen, Gesängen, Hochzeits- und Festklängen entsteht eine HörReise in Salmes Heimat Sansibar, wo Menschen das Leben und den Tanz genießen.                

– Stefan Winter

 

 

Sansibar – das die Inseln Unguja, Pemba und einige kleine Inseln direkt vor der afrikanischen Ostküste umfaßt — ist eines der Zentren der Swahili-Kultur, eine islamisch-städtische Kultur, geprägt von den Passatwinden und den Kontakten über den Indischen Ozean. {Seyyid Said, Sultan von Oman und Sansibar, richtete seinen Hof im frühen 19. Jahrhundert in Sansibar ein, das daraufhin im Laufe des Jahrhunderts das wichtigste Wirtschaftszentrum für den ostafrikanischen Handel wurde. Sansibar wurde 1890 britisches Protektorat. Im Januar 1964, kurz nach der Unabhängigkeit, wurde der Sultan durch eine Revolution gestürzt. Im April desselben Jahres schloß sich Sansibar Tanganyika an, um Teil der Vereinigten Republik Tansania zu werden.} Diese Kultur florierte seit spätestens dem 10. Jahrhundert v. Chr. in den an der ostafrikanischen Küste gelegenen Städten; der Austausch über das Meer nach Arabien, Indien und darüber hinaus wurde durch die Dau, das typische Segelschiff des Indischen Ozeans, gesichert. Noch immer orientiert sich das Leben der Bewohner Sansibars weitgehend über das Meer hinaus nach Arabien, Indien und in die islamische Welt als auf das afrikanische Festland und nach Westen, eine Ausrichtung, die auch in der Musik und in den Liedern der Insel offenkundig wird.

Der charakteristische Klang, der die Hörlandschaft der Insel prägt, ist die Taarab-Musik: ein traditionell zu Sansibar gehörender, üppiger Klang, der mit einer Vielfalt orientalischer, afrikanischer und westlicher Instrumente erzeugt wird. In Swahili beschreibt taarab sowohl den Musikstil als auch das Ereignis der Aufführung selbst; etymologisch ist es mit dem arabischen Wort tariba verwandt, was so viel wie bewegt oder aufgewühlt vom Spiel oder dem Hören von Musik bedeutet. Der traditionelle Anlaß für Taarab-Aufführungen sind vor allem Hochzeiten, aber auch islamische Festtage wie Idd-el-Fitr. Zu Beginn erfreute sich der orchestrale Klang des sansibarischen Taarab in Folge der Popularität ägyptischer Filme, in denen berühmte Sänger oder Komponisten wie Umm Kulthum oder Mohamed Abdel-Wahhab zu sehen waren, großer Beliebtheit. Die Orchester Sansibars jedoch spielten durch die melodiösere, vokalreiche Swahili-Sprache und den Einfluß örtlicher, afrikanischer Melodien, einen wesentlich lieblicheren Stil. Zwei Namen, die für diesen Klang Sansibars stehen, sind Ikhwani Safaa {Sansibars ältester Musikclub} und der Culture Musical Club, der bis in die frühen 2000er Jahre das populärste Orchester war. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die gesamte Gesellschaft und die Bräuche und Vorlieben unaufhaltsam verändert. Eine Welle sogenannten modernen Taarabs kam vom Festland auf die Insel und der akustische Taarab hat an Beliebtheit verloren. Die beiden großen Clubnamen scheinen unterzugehen, ihr Erbe aber lebt.

Kithara wurde im Jahr 2011 von Rajab Suleiman und einigen jüngeren Mitgliedern des Culture Musical Club gegründet. „Neue Zeiten verlangen nach neuen Strukturen, um künstlerische Ziele voranzutreiben“, sagt er. Da sie sich in ihrer Kreativität durch die alten Clubstrukturen eingeschränkt fühlten, initiierten sie etwas Neues. Rajab hat sein Qanun-Spiel durch das Repertoirestudium klassischer arabischer und türkischer Musik für das Instrument weitergeführt und sucht auch die Verbindung zu Jazz oder Klassik. Um ein Repertoire für die Gruppe aufzubauen, lassen sie sich von Sansibars zahlreichen Ngoma-Tänzen inspirieren und versuchen, die ansteckenden Rhythmen und Melodien mit den regulären Taarab-Instrumenten, dazu gehören neben dem Qanun die Ud, Violine, Akkordeon, akustischer Baß und einige Perkussionsinstrumente, zu verschmelzen. Der neu aufsteigende Star Saada Nassor hat sich der Gruppe angeschlossen und wurde in kurzer Zeit die meist besprochenste Sängerin der Insel. Kitharas hochgeschätzter Gastsänger ist Makame Faki, einer der Rangältesten des Sansibar Taarab und fast 40 Jahre lang Solosänger des Culture Musical Club.

Makame Faki leitet außerdem die auf der Insel begehrte Kidumbak-Gruppe Sina Chuki. Kidumbak ist eine der bedeutendsten Hochzeitsfeierlichkeiten in den Unterschicht-Stadtvierteln von Sansibar Stadt und den ländlichen Gegenden von Sansibar und Pemba. Stilistisch ist Kidumbak Taarab und seinen Liedern sehr nahe, allerdings gibt es in der Besetzung nur eine Violine, Vidumbaki {zwei kleine Tontrommeln, von deren Name sich der Stil ableitet}, Sanduku {Kistenbass} und Cherewa {Maracas}. Im Gegensatz zum Taarab, bei dem die Zuhörer sitzen, ist Kidumbak eine Tanzmusik, bei der die weibliche Hochzeitsgesellschaft als Sängerinnen und Chor mitwirkt.

Qasida ist eine arabische Gedichtform, die auf vor-islamische Zeit zurückgeht. An der überwiegend islamischen Ostküste Afrikas, hat sich Qasida zu einer eigenständigen, in Swahili gedichteten Form entwickelt, die aus dem afrikanischen Kontext ebenfalls Melodien und polyrhythmische Elemente bezieht. Der Gesang des Hauptsängers wird zuerst vom Chor aufgenommen. Dann werden die Sänger von einer Gruppe bis zu zehn gestimmten Trommeln begleitet. Zu Beginn sitzt der Chor, mit der Entwicklung des Rhythmus werden komplexe, wellenartige Bewegungen ausgeführt, bei denen die Teilnehmer sich aufrichten, aber immer auf ihren Knien bleiben.

Tarbiyya Islamiyya ist eine Medresse {Koranschule einer Moschee}, die von Jugendlichen aus Mfereji Wawima, einem Vorort Sansibar Stadts, gegründet wurde. Aman Ussi und Freunde gründeten die erste Islamschule für die Kinder der Nachbarschaft und entdeckten schon bald ihr eigenes Talent als Komponisten und Texter — und das ihrer Schüler als Sänger und Choreographen. Heute ist die Gruppe eines der führenden Ensembles auf Sansibar und wird zu Maulid-Vorführungen bei verschiedensten Veranstaltungen wie Hochzeiten, Geburtsfeiern und Beschneidungszeremonien eingeladen. Am Maulidi-Fest wird die Geburt und das Leben des Propheten Mohammed gefeiert.

Das Mtendeni Maulid Ensemble führt die visuell und klanglich eindrucksvolle religiöse Sufi-Andacht Maulidi ya Homu auf. Die Form hat Wurzeln in der alten arabischen Welt, existiert aber heute nur noch in Sansibar. Maulidi ya Homu wird mit der Tariqa, Sufi-Ordnung oder Bruderschaft, gegründet von Ahmad al-Rifa’i, in Verbindung gebracht. Die Rifa’iyya, aus Ägypten stammend, hat sich über den Nahen und Mittleren Osten ausgebreitet, aber auch bis nach Indonesien, die Komoren und Sansibar. Die Form des Maulidi ya Homu wie sie heute aufgeführt wird, soll aus dem Irak stammen und erreichte die Insel um 1800. Im Laufe der Zeit hat sich die Aufführung auf Sansibar individuell ausgeprägt, mischt lokale Ngoma-Traditionen mit Sufi-Elementen. Maulidi ya Homu ist eine musikalische, religiöse und literarische Aufführung, die aus einem reichen Erbe schöpft: Eine mystische Sufi-Tradition, die sich mit Swahili-Ästhetik und kulturellen Werten vereinigt.

Qasida wird in Arabisch und Swahili gesungen, dabei wird der Prophet Mohammed gepriesen und sein tugendhaftes Leben hervorgehoben. Tarbiyyas Qasida auf der Aufnahme sind „Ya Tawwabu Subhanallah“ {Oh ewig wiederkehrend, gelobt sei Allah} und „Habibi Nabii Muhammed“ {Der geliebte Prophet Mohammed}. Mtendenis Aufführungen haben einen stark improvisatorischen Charakter und koppeln gewöhnlich Stücke aus unterschiedlichen Kompositionen. Die zu hörenden Abschnitte sind „Shufaini“ {Fürchte nicht} und „Khamsa arikanu“ {Fünf Säulen}.

Formal knüpft Taarab an die alte Swahili-Dichtkunsttradition an. Diese Dichtung folgt strengen Regeln für Silben, Verse und Reim, die wahre Bedeutung der Lieder wird oft unter metaphorischen Schichten und anderen Tropen verborgen. Saada Nassors „Ondoa Hofu“ bittet den Geliebten oder die Geliebte, keine Angst davor zu haben, die wahren Gefühle auszudrücken. Makame Fakis „Aheri Zamani“ beklagt das Ende einer Epoche. Kitharas weitere Lieder sind Ngoma-Adaptionen, traditionelle Tanzlieder. Ngoma-Lieder fassen meist Refrains verschiedener Lieder zusammen, das Gleiche gilt für Kidumbaki-Stücke, die normalerweise Medleys sind oder aus Taarab-Liedern zitieren, hinzu kommen Motive aus anderen Genres, die in den schnellen Tanzabschnitten erscheinen.

– Werner Graebner

 


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