Hotel Waldhaus - in Sils Maria


Lieber Mario Luis Malfatti,

 

Als wärs gestern gewesen, aber nun sind bereits über vier Jahre vergangen, als Mariko, Du und ich zusammen mit unseren Freunden Günter, Luis, Adrian und Andrés in Kuba waren. Immer wieder mal höre ich unser musikalisches Reisetagebuch und denke an die herrlichen Tage in Havanna. Kannst Du dich noch daran erinnern, dass ich damals davon geredet habe, einen HörFilm über das Waldhaus in Sils-Maria zu machen? Mariko und ich waren vor 1 1/2 Jahren zum ersten Mal dort oben im Engadin, um die Atmosphäre dieses Ortes und das berühmte Welte-Mignon-Piano aufzunehmen. Hermann Hesse, Arnold von Siemens, Richard Strauss, Baron Louis Rothschild, Albert Einstein und so viele andere Gäste haben hier dieses mechanische Wunderwerk gehört. Ich hatte die fixe Idee, die Stimmung dieses Hotels einzufangen, bevor sie vollkommen verloren geht, aber meine Vorahnung war falsch, keine Spur von Museum, das Waldhaus lebt, und das Drehbuch für meinen HörFilm musste umgeschrieben werden. Das Welte-Mignon-Piano spielt noch immer, oder besser gesagt wieder, da der Hotelhaustechniker Guido Schmidt in filligraner Feinarbeit dieses Instrument von 1910 wieder zusammengesetzt hat, eine Meisterleistung, denn die Baupläne waren natürlich verschwunden. Guidos Fähigkeiten beschränken sich aber nicht auf die Haustechnik, er ist auch ein begnadeter Fotograf, der wie kein anderer das Leben und die unterschiedlichen Stimmungen des Waldhauses einfängt, wie Du auf diesen Bildern sehen kannst. Guidos Stimme hörst Du auf Track 15, ich hoffe, Du kannst Ihn verstehen, er spricht über die Welte-Mignon-Welt, die nicht vom digitalen Zeitalter überrollt wurde. Neben Guido erzählt auch Jürg Kienberger seine Hotelgeschichten. Sein Urgrossvater hatte 1908 das Waldhaus eröffnet, und noch heute führen seine Schwester Maria, sein Schwager Felix Dietrich und sein Bruder Urs dieses Haus. Mutter Rita Kienberger ist die Seele des Hauses, obwohl sie selten zu sehen ist. Jürg ist Schauspieler am Schauspielhaus in Zürich, das noch immer oder immer noch unter Marthalers Leitung steht. Zur Zeit spielt Jürg mit Josef Bierbichler, der mit Uri Caine Gustav Mahler Lieder aufgenommen hat, aber dies ist eine ganz andere Geschichte. Vor fünf Jahren hat Jürg das Ein-Mann-Stück "Ich bin ja so allein" geschrieben. Mit menschlicher Selbstironie beschreibt er das Waldhaus, in dem er aufgewachsen ist. Ich kannte dieses Stück nicht, aber nachdem mir Urs bei meinem ersten Aufenthalt davon erzählt hatte, schaute ich es mir ein paar Monate später in München an. Jürg ist Barpianist, Alleinunterhalter, Geschichtenerzähler. Ich bin vollkommen von ihm begeistert, seine Leckerbissen durften einfach nicht fehlen. Ich kenne einige excellente Hotels, aber keines kommt auch nur annähernd an das Waldhaus heran. Dieser Ort ist ein Fluchtpunkt, unerreichbar von der gewöhnlichen Welt. Seit 25 Jahren tritt dort das Trio Farkas auf. Pianist Jurai Farkas, Cellist Eugen Bitto und Geiger Robert Citala sind immer da. Zum Nachmittagstee, manchmal zum Dinner und selbstverständlich spielen sie am Abend zum Tanzen in der Bar (außer Montags). Sie sind das musikalische Herz des Waldhauses, wie das Quadri-Kaffeehausorchester auf dem Markusplatz in Venedig. Jürgs Grossvater hat nie irgendwelche Fahrstuhl- oder Konservenmusik in Einklang mit dem Waldhaus bringen können, einzige Ausnahme war das Welte-Mignon-Piano, Grünfelds Diner Walzer eingespielt am 20. Januar 1905. Das Welte an dem Ort mit der selben Musik wie vor fast 100 Jahren zu hören, ist ein Glücksmoment. Am Anfang meines Briefes habe ich geschrieben, dass ich eigentlich die Vergangenheit des Waldhauses einfangen wollte, aber es ist so ein Vergnügen (auch) heute im Waldhaus zu sein, das Trio Farkas zu hören, die Kienbergers mit ihrem wunderbaren Team zu erleben und natürlich auch die Gäste aus dem Tiefland, dass sich meine Arbeit verändert hat. Vielleicht wirst Du angeregt, Dein selbstgewähltes Exil zu verlassen und wieder einmal zu reisen… Bis bald im Waldhaus!

 

Mit liebem Gruss

Dein Stefan

15. Februar 2003


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